Exhibition
in Zürich / Switzerland
Jan Czerwinskis Ölbilder sind technisch mit einer altmeisterlichen Präzision gemalt, die geradezu sprachlos macht: zum Beispiel der “Taschenkrebs”, den er auf einem monumentalen Format, zwei Quadratmeter gross, inszeniert. Umso erstaunlicher, dass Czerwinski Autodidakt ist, nie ein Kunststudium absolviert hat. Die Malerei habe er im Museum gelernt. Anders als man denken könnte, ist er aber nicht nur Hyperrealist – denn der Künstler erfindet, komponiert, arrangiert seine Motive, und setzt sie dramatisch in Licht und Schatten. Der vermeintliche Klassiker entpuppt sich denn auch als Liebhaber von Punk, Gothic, Metal, Sciencefiction – und als feiner Ironiker. Auch sein Romantizismus ist gebrochen. Das memento mori, das Vergängliche ist bei Jan Czerwinski so allgegenwärtig, dass der Tod zum Leben erwacht: Dieser vermeintlich schweren, ernsten Kunst ist ein Augenzwinkern eigen. Wir kombinieren sie mit einer Reihe von Stillleben, Studien, Porträts und Landschaften von Albert und Melanie Rüegg-Leuthold.
Noch bewundernswerter als die technische Virtuosität ist an Jan Czerwinskis Werk vielleicht die Neugier, mit der er seit bald vier Jahrzehnten sein Metier betreibt: Diese Neugier hat er sich erhalten, und man spürt förmlich, wie es ihn reizt und herausfordert, den seidenmatten Schimmer eines Krebspanzers nicht nur wiederzugeben, sondern – als Malerei – zum Leben zu erwecken. Malerei zeigt sich hier als tägliches Abenteuer. Es ist mehr als eine Herausforderung: ein Abenteuer! Denn limitiert auf das Zweidimensionale seiner Spielfläche obliegt es dem Maler-Kreator mit den Mitteln der Perspektive – im Grunde eine Illusion – Räumlichkeit zu schaffen. Gewiss ist er auch Gebieter über alle möglichen Farben, die seine Palette theoretisch hergibt. Das eröffnet Varianten, “künstliche” Farbgebungen, die der Realität fremd sind, die sie kommentieren, übersteigern. Diesen Freiraum nutzt Czerwinski augenfällig lustvoll aus. Weil er neugierig ist, stellen wir uns vor, dass er ausprobiert, dass er risikofreudig in die Extreme geht, bis das Resultat zu kippen droht. Auch bis an die Grenze des Kitschs, die er gerne kitzelt.
Auch die Formgebungen sind keineswegs so sakrosankt, so “naturalistisch”, wie man vermuten könnte. Ein Schädel wird auf dem Bild locker querverzerrt, wenn das der Komposition guttut. Was ein sicherlich gezielt gesetztes, malereigeschichtliches Zitat ist: Der ausstellungstitelgebende Hans Holbein der Jüngere (1497–1543) führte das Motiv des verzerrten Schädels als verstecktes memento mori in seinem berühmten Doppelportrait “Die Gesandten” (1533, National Gallery London) ein. Wo man hingegen umgekehrt fast sicher ist, dass die Natur nicht so märchenhafte Volten schlägt, pflegt Czerwinski den Realismus – womit er uns abermals in die Irre führt: Das beinahe senkrecht abstürzende Schneefeld am Piz Calm, das in der Fläche eine kühne neunzig Grad Wendung nimmt, ist Gegenstand eines seiner offenbar am meisten naturalistischen Bilder…, man hätte Gift darauf genommen, dass es sowas höchstens in der Kunst gibt…
Form und Farbe werden affiziert durch ein weiteres Steckenpferd des Künstlers: die Lichtführung. Auch hier gibt es selbstverständlich genug kunsthistorische Vorbilder, um nur Caravaggio oder Rembrandt zu nennen. Es sind nicht nur die Sonnenuntergänge, an die sich Czerwinski wagt: natürlich im Wissen darum, dass er sich hier von jedem Sonntagsmaler abgrenzen muss. Auch das tut er freudvoll und reflektiert. Es ist offensichtlich, dass er mit dieser Referenz spielt und damit bewusst Spannung erzeugt. Eine leere Vase zeigt er aus steiler Aufsicht – sodass die eh schon vom Welken bedrohten Blumen, die sich nicht in sondern auf der Vase finden, im Schatten zu versinken drohen. Um Licht spektakulär in Szene zu setzen, gibt er auf Berglandschaften dem Schatten auffällig viel Raum. Eigentlich zu viel Raum – denn jeder Fotograf, jede Fotografin würde den Bildausschnitt vom Verschatteten mehr ins Licht rücken. Aber natürlich ist es genau das, was den Maler interessiert: Diesen Kontrast zwischen Schatten und Licht. Und wenn uns Czerwinski tatsächlich wenig Licht gönnt und uns frieren lässt im kalten Schatten – dann nähren wir uns an der sparsam gesetzten Wärme umso mehr…
Form, Farbe, Lichtführung sind alles visuelle Momente. Wobei wir uns in Licht und Schatten soeben schon physischen Wahrnehmungen ausgesetzt haben: Die Malerei lässt uns frieren – um uns sogleich wieder zu wärmen. Dieses Physische überträgt sich auf die Betrachtenden auch in der Widergabe von Oberflächen. Wir haben bereits auf den matten Schimmer des Krebspanzers hingewiesen. Weil der Maler natürlich keine effektiv glänzenden Farben verwendet, muss er Glanzlichter “künstlich” erzeugen, durch helle Höhungen, durch Kontraste. So erreicht er, dass wir das Fleisch des Krebses fast zu riechen vermeinen. Es riecht verlockend. Aber bereits auch ein wenig nach Tod, nach Verwesung. Auch das ist natürlich intendiert vom Maler, der uns virtuos an der Nase herumführt. Denn die Täuschung verschafft uns letztlich Lust – das war schliesslich schon im Wettstreit der beiden griechischen Alt-Altmeister Zeuxis und Parrhasios so, wo Zeuxis Trauben so lebensecht darstellen konnte, dass Vögel danach pickten, Parrhasios Zeuxis selbst aber narrte, indem er sein Bild angeblich hinter einem Vorhang tarnte – nur war auf dem Bild nichts anderes als der Vorhang…
Sich täuschen zu lassen, und diese Täuschung selber aufdecken zu können verschafft Lust. Dieses in der Kunstgeschichte bereits Jahrhunderte, Jahrtausende gespielte Spiel treibt unser Maler genüsslich weiter. Er spielt mit kunsthistorischen Allusionen, er kombiniert Bildgegenstände und Bildgattungen neu. Entführt uns in der Kombination von nahsichtigen Stillleben und fernsichtigen Landschaftsbildern mit warmen Stillleben-Motiven in kalte Winterlandschaften. Schrullige Vanitas-Motive finden sich vor erhabenen Landschaftskulissen wieder. Was ist vergänglicher, der Totenschädel oder das felsige Gestein? Dieser inszenierten Konkurrenz des Vergänglichen wohnen wir lustvoll bei, geniessen den Schauder – und sind am Ende nichts anderes als froh, dass wir (noch) da sind.
Text: Simon Maurer, Stiftungsrat
Öffnungszeiten Mi-Fr 12 – 18:30 Uhr, Sa 11 – 17 Uhr
Ausstellungsdauer 24.02. – 29.04.2023
Location:
Stiftung Kunstsammlung Albert und Melanie Rüegg
Rämistrasse 30
8001 Zürich
Switzerland