Exhibition

in Zürich / Switzerland
19.05.2022 - 16.07.2022 00:00
Marion Richter - The Unspoken

Marion Richters Bilder enthalten viel – vermeintlichen – Leerraum: Mit dem Leerraum führt uns die Malerin in den Bildraum hinein, der vom Unausgesprochenen handelt. Die Handlung ist fragil und heftig zugleich – und wird am Ende nicht aufgelöst. Jede:r muss sich selbst ein Bild machen von dem, was hier (nicht) gesagt wird. Oft in farbigen Grautönen gehalten, birgt diese Kunst Geheimnisse, Dramen, Intimitäten, und lässt uns auf eine distinguierte Art daran teilhaben – lebendig und zeitlos.

Malerei spielt sich immer zwischen Bild und Betrachter:in ab. Manche Bilder konfrontieren die Betrachter:in direkt und selbstbewusst. Als ob sie sagen wollten: Hier bin ich, als Bild – das ist meine Identität – schau mich an, entscheide selber, was Du mit mir machst – mir wird das nichts anhaben. Marions Richters Bilder sind anders. Sie bauen ein komplexes Verhältnis zu den Betrachtenden auf. Sie sind im Bewusstsein entstanden, dass sie gesehen werden. Und dass es sehr wesentlich darauf ankommt, wie sie gesehen werden. Das ist ihnen nicht egal – wie es einem abstrakt-expressionistischen Bild egal sein könnte.

Indem bei Richter flächenmässig umfangreiche Bildräume ins Bild hineinführen, erleichtert sie den Betrachtenden den Zugang. Manchmal geht sie so weit, dass dieser ins Bild hineinführende Raum fast die ganze Bildfläche in Anspruch nimmt. Dass das, was eigentlich auf dem Bild “geschieht”, einzig einen kleinen Teil am oberen Bildrand beansprucht. Alles andere ist Weg auf dieses “Geschehen” hin. Es ist allerdings nicht so, dass auf diesem Weg, in diesem umfangreichen Bildraum nichts geschehen würde. In dieser Zone werden die Betrachtenden darauf vorbereitet auf das, was im Bild geschehen wird. Hier erhalten sie Gelegenheit und Raum, sich selber darauf vorzubereiten. Und was hier ausserdem “geschieht”, ist die Malerei selbst. Auch wenn es sich meist um recht homogene graue Flächen handelt, entwickeln diese in der Binnendynamik der Pinselstriche, in den unterlegten Farbschichten einen Sog, und ziehen einen in Bann. Es gibt kein Ausweichen vor diesem Geschehen. Hat man einmal einen Blick auf diese Malerei geworfen, zieht sie einen hinein.

Die vermeintliche “Leere” dieser Bildräume geben den Betrachtenden nicht nur Zeit, sich auf das “Geschehen” vorzubereiten. Sie sind auch eigentliche Reflexionsräume, um sich vom “Geschehen” wieder zurückzuziehen. Reflexionsräume in Grau. Nuanciertestem, vielschichtigem Grau, das changieren kann zwischen warmtonigen und kalttonigen Untermalungen. Die Horizonte sind meist entweder sehr hoch oder sehr tief. Die Himmel entsprechend hoch oder schmal. Sind sie schmal, haben die Bilder etwas Klaustrophobisches. Der Raum wirkt gedrückt, es gibt kein Entweichen. Sind die Himmel hingegen hoch, was selten ist, könnte das erlösend wirken. Tut es aber nicht. Auch ein hoher Himmel verspricht wenig Hilfe, zumindest wenn er so grau verhangen ist wie hier.

Worum geht es in den eigentlichen “Geschehnissen” auf diesen Bildern? Die übrigens oft auf fotografischen Schnappschüssen beruhen, die Richter ausprintet, vergrössert und auf die Leinwand appliziert, und die sie dann – manchmal nur teilweise – malerisch überarbeitet und ergänzt (wobei die Fotografien oft nur einen kleinen Teil des Bildes beanspruchen). Es geht erst mal um das, was einem Menschen im Westen heute im Alltag begegnet. Von der banalen Baustelle bis zu Bildern von Katastrophen aus den Medien. Marion Richter arbeitet meist in Serien. So widmet sie zum Beispiel eine Serie dem Thema der Baustellen. Der Zugang zu den Baustellen ist ihr verwehrt – so entstehen (fotografische) Aufnahmen aus seltsamen Winkeln, schräge Aufsichten. Sie bilden das Gerüst für Kompositionen im Bild. Sie sind Garanten dafür, dass auf dem Bild überhaupt etwas “geschieht”, sich etwas ereignet. Menschen, Bauarbeiter erscheinen dabei wie ferngesteuerte kleine Wesen, die Teil eines grossen Plans sind. Eines Plans gegen die Leere?

Schatten sind ein anderes Thema, dem sich die Malerin widmet, die im Übrigen auch eine enorm feinsinnige Zeichnerin ist (in den Zeichnungen zeigt sich unmissverständlich auch ihre akademische Ausbildung, an der Syracuse University und in Yale. Schatten werden auf den Bildern Richters bedeutender als die Menschen selbst, vergrössern sie im Gegenlicht fast wie in einem Krimi. Schatten, diese ständigen, flüchtigen Begleiter im Guten wie im Bösen, bewegen sich lautlos am Boden. Sie sind immer mit uns – und wir nehmen sie nie wahr. Schatten geben uns andere Richtungen als die, die wir intendieren. Sie relativieren uns und unsere Vorhaben. Schatten lassen sich nicht abschütteln. Wie unsere Charakterzüge.

“Ich bin immer auf ein Thema orientiert – was in einem drin ist kommt dann schon zum Vorschein.” Ein interessantes, sprechendes Statement der Künstlerin. Das Thema ist ihr somit fast schon Vorwand. Vorwand für das, warum es eigentlich geht. Für das Unausgesprochene, das dieser Ausstellung ihren Titel gibt? In einer umfangreichen Serie hat sich die Künstlerin ihrer unmittelbaren Arbeitsumgebung gewidmet – als sie über viele Jahre in einem Atelier in der Roten Fabrik gearbeitet hat. Auch wer diesen Ort gut kennt, sieht ihn auf Richters Bildern verändert, transformiert. Bildwürdig werden ihr unscheinbare Details, ein Treppenaufgang, ein Durchblick in einem Gang. Der Ort wird gleichzeitig erweitert und verunklärt, Details werden vergrössert, Ausschnitte zu gewaltigen (Architektur)-Landschaften erweitert.

Und wie ich das denke, erinnere ich mich an Kafkas “Schloss”, kürzlich wiedergelesen. An diese mikroskopischen Beschreibungen, die das Geschehen wie in einem Film vor Augen führen. Kafka wäre nicht Kafka, wenn er nur die Umgebungen, in denen sich die Handlungen seiner Protagonisten ereignen, so überaus anschaulich beschreiben könnte. Einzigartig macht ihn die Beschreibung dessen, was sich im Inneren seiner Figuren abspielt. Die sich ständig verschiebenden Konstellationen ihrer Psychen. Die sich abzeichnenden Ahnungen, die sich aus dem Aufsteigen von Erinnerungen und der Fügung von Zusammenhängen ergeben.

Es gibt ein grosses Doppelbild – eines dieser “gespaltenen”, zweiteiligen Bilder –, das die Dachlandschaft der Roten Fabrik zeigt. In Richters Interpretation wird diese Dachlandschaft unendlich vergrössert und zieht sich über die ganze Bildbreite und noch darüber hinaus. Rückt nah und zugleich in die Ferne. Im Vordergrund – erneut sechs Siebtel des gesamten Bildes beanspruchend – öffnet sich erneut eine hellgraue Fläche. Beinah silbern schillert sie. Und dahinter, fast wie eine Silhouette bildend, die Shed-Glasdächer. Und unendlich viele Kamine. Bestimmt über fünfzig.

Auf diesem Bild wird das, worum es in dieser Kunst eigentlich geht, und was die Künstlerin in ihrer diskreten Art geradezu tarnt, vielleicht am Deutlichsten. Es sind die Schatten der Vergangenheit. Der welthistorischen genauso wie der privaten – da sich beide miteinander verknüpft haben. Es sind diese Geschehnisse, die einem die Worte rauben. Die sich nicht aussprechen und sich nicht darstellen lassen. Die nur indirekt angegangen werden können. Als Metaphern, als Übersetzungen, als Hinweise. So kann eine Baustelle zum Sinnbild einer Welt als Baustelle werden. Die Baugrube zu einer übergrossen Wunde, die in die Erde geschlagen wurde. Die Gerüste und Gerätschaften als wimmelnde Werkzeuge des Wiederaufbaus.

Es ist bewundernswert, mit welcher Gefasstheit die Künstlerin auf den Lauf der Zeit blickt. Auf ihre grössten Katastrophen – und auf die zartesten Keime, um aus ihnen wieder einen Weg zu finden, der überhaupt weiterführt. Dazwischen immer wieder diese grossen “Leerräume”, vor denen es einem die Sprache verschlägt. Diese tauben und zugleich dröhnend überfluteten Räume, die alles mit sich reissen, was ihnen in den Weg stellt. Sie hinterlassen Ohnmacht. Stille. Sprachlosigkeit.

Die Psychologie lehrt, dass Traumas sich vererben. Bei Marion Richter wird es genauso sein. 1936 in Wien geboren, 1940 in die USA emigriert. Viel mehr mag sie gar nicht erzählen, und man mag auch nicht nachfragen. Zurück bleibt der Satz, dass ihre Eltern kaum “darüber” gesprochen hätten. Und die Kinder wagten offenbar verständlicherweise nicht nachzufragen. So bleibt dieses Unausgesprochene, dieses Unaussprechliche zurück, über Generationen. Und vermischt sich mit privaten Katastrophen. Und raubt den Atem.

Simon Maurer, Stiftungsrat

Öffnungszeiten Mi-Fr 12 – 18:30 Uhr, Sa 11 – 17 Uhr

Ausstellungsdauer 19.05. – 16.07.2022

www.kunstsammlung-ruegg.ch

Location:
Stiftung Kunstsammlung Albert und Melanie Rüegg
Rämistrasse 30
8001 Zürich
Switzerland

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