Exhibition
in Solothurn / Switzerland
Der im Kanton Luzern lebende Künstler Otto Lehmann (*1943) ist eng mit seiner Heimatstadt Solothurn verbunden, wo ihm bereits 1995 und 2001 Einzelausstellungen im Kunstmuseum gewidmet waren. Nun motivieren neue ausdrucksstarke Zeichnungen eine weitere Präsentation. Die 2015 einsetzenden Serien “Noli me tangere”, die der Ausstellung ihren Namen geben, werden in den Kontext früherer Werke gestellt. Zu diesen gehören auch Blätter der 1980er Jahre, als Otto Lehmann zu einem bekannten Vertreter der “Neuen Wilden” wurde. Bis heute fasziniert seine Kunst durch ihre grosse, an die Art Brut erinnernde Intensität.
“Rühr-mich-nicht-an” besagt der lateinische Titel, der auch als Bibelstelle oder Pflanzen-Art bekannt ist. Nach der Betroffenheit durch die Diagnose einer Krankheit wurden die unablässige Arbeit an den Serien und ihr sprechender Titel für den Künstler zur Beschwörung. Die Materialität und Leuchtkraft der Blätter lässt die Kräfte ermessen, die bei der direkten Konfrontation mit dem Krankheitsbild frei werden. Die organischen Formen der Zeichnungen sind inspiriert vom Blick durchs Mikroskop, der das Wachsen oder Bannen der Krankheit feststellt.
Die über drei grosse Parterre-Säle angelegte Ausstellung geht nicht nur von den neuesten Serien aus, sondern verwendet ihre Bildwelt zugleich als Leitmotiv der gesamten Präsentation. Die Fülle und Intensität der Blätter, die sich von 2015 bis heute zu einem mächtigen Strom verdichtet haben, sind so eindrucksvoll, dass sie auch für sich selbst stehen könnten. Doch zeigt gerade die Gegenüberstellung mit Serien früherer Werkphasen der Jahre 1978 bis 1983 und 2004 bis 2005, dass die aus dem Widerstand kommende Kraft nicht vereinzelt auftritt. Seit jeher widmet sich das Schaffen einer existenziellen Bildwelt, wo sich der ernste Gehalt in einer expressiven Gestalt spiegelt.
Nur selten zeigt sich bei Otto Lehmann ein unkontrolliert gestischer Ausdruck. Viel häufiger zwingt er seinen Strich in geschlossene Formen, in denen die Energie, ja Heftigkeit des Zeichnens jedoch sichtbar bleibt. In gewisser Weise erfährt der innere Widerstand eine körperliche Übertragung im Prozess des Zeichnens. Wurde in seinen früheren Bleistift-Serien der leuchtend weisse Blattgrund zum Gegenpol der schwarzen Figuren, fällt bei den heutigen Farbstiftzeichnungen die Buntheit der Palette auf. Diese scheint im Widerspruch zum Ernst des Themas. Doch wird darin ja das Leben selbst beschworen, das erkämpft und erhalten werden will.
Die schicksalshafte Verbindung der Gegensätze wird in vielen Zeichnungen durch ein bewusst gesuchtes Gleichgewicht von Positiv- und Negativformen gezeigt. Was bei diesen dialektischen Kipp-Bildern in den Vordergrund rückt, ist der individuellen Sicht überlassen. Die intuitive Wahl gleicht der wechselnden Reaktion auf eine ungewisse Diagnose. Das Lebendige von Mensch, Tier, Pflanze und Zelle verbindet alle Zeichnungen. Und in paradoxer Weise kann das Wachsen des einen die Not des andern bedeuten. Im Zentrum aber steht das Kreative selbst als fulminanter Lebensbeweis.
Im zweiten Parterre-Flügel ist eine Sammlungsausstellung zu sehen. Diese wurde ebenfalls mit Otto Lehmann konzipiert und schliesst weitere Werke des Künstlers ein.
Zur Ausstellung erscheint im Verlag für moderne Kunst Wien ein reich bebilderter Katalog (128 Seiten) mit zwei Aufsätzen von Alice Henkes und Christoph Vögele.
Christoph Vögele
Öffnungszeiten Di-Fr 11 – 17 Uhr, Sa/So 10 – 17 Uhr, Montag geschlossen
Location:
Kunstmuseum Solothurn
Werkhofstrasse 30
4500 Solothurn
Switzerland