Rafael Grassi – Weder Sträusse noch Vasen

“Die Tänzerin ist keine Frau und sie tanzt nicht”, schrieb Stéphane Mallarmé. Die Vasen mit Blumensträussen, die Rafael Grassi malt, auch nicht. Weder Sträusse noch Vasen. Wenngleich der Blick sie zuerst durch diese unverfängliche Identifizierung erfasst, und in der üblichen Klassifikation von Kunst es der Begriff des Stilllebens ist, der lautlosen Leben, die sie hervorrufen. Denn schliesslich zeigt hier etwas die Eigenschaften, die man an einer Vase erkennt. Eine Form von vertikaler Stabilität, Stille und Unbeweglichkeit. Die Sinnlichkeit eines vom Licht geformten Volumens. Ein getragener Schatten… Und darüber farbige Ausdrücke, deren Ausschnitte, Enthusiasmus, Schillern die sexuelle Überschwänglichkeit der Pflanzenwelt ziemlich gut beschreiben.

Doch das reicht nicht aus. Das hat vielleicht nie gereicht. Nicht solange sich darin eine Botschaft, eine Bedeutung, symbolische Anspielungen verbergen; in Wahrheit zeigt sich eher alles: die Malerei, ihre Illusionen, ihre Gesten, die vergnügliche Freiheit des Spiels, das verwirklicht wird durch das Hervorrufen der Erscheinungen mit den Mitteln des Realismus und der expressiven Distanz. Gerade die Darstellung offenbart sich gleichzeitig als Sinnliches und Geistiges. Die Versuchung, während man von einem Bild zum nächsten gleitet und die Variationen und Ähnlichkeiten würdigt, ist gross, den Maler Morandi zu erwähnen, der 1957 in einem Gespräch behauptete, es gebe “nichts Surrealeres und nichts Abstrakteres als die Wirklichkeit”. Wir bewundern die Blumenvasen von Rafael Grassi und es sind keine Vasen, und es sind keine Blumen.

Französischer Text: Jeremy Liron, Marseille, 2021
Übersetzung/Adaption: Meret Arnold, Zürich, Kunsthistorikerin

Öffnungszeiten Do/Fr 14 – 18 Uhr, Sa 14 – 16 Uhr
Montag – Mittwoch nach telefonischer Verabredung

www.samscherrer.ch

Location:
sam scherrer contemporary
Kleinstrasse 16
8008 Zürich
Switzerland