Exhibition
in Thun / Switzerland
- Sophie Calle: Voir la mer, Jeune fille en rouge, 2011, (détail), 3’11” digital film with color and sound, TV screen, framed color photograph, Cinematographer : Caroline Champetier, © Sophie Calle / ADAGP, Paris 2019, Courtesy the Artist & Perrotin: “In Istanbul, einer vom Meer umgebenen Stadt, habe ich Menschen getroffen, die es noch nie gesehen hatten. Ich habe sie gefilmt, wie sie es zum ersten Mal gesehen haben.”
- Sophie Calle: La dernière image. Aveugle à la broderie, 2010, © Sophie Calle / ADAGP, Paris 2019, Courtesy the Artist & Perrotin: “In Istanbul traf ich Menschen, die plötzlich erblindet waren. Ich bat sie, mir zu schildern, was sie zuletzt gesehen hatten.”
- Sophie Calle: Infarctus silencieux, 2017, (série des Histoires vraies), © Sophie Calle / ADAGP, Paris 2019, Courtesy the Artist & Perrotin
- Portrait Sophie Calle, © Photo Claire Dorn, 2018
Erste umfassende Einzelausstellung in der Schweiz
Sie fotografiert und beobachtet, filmt und schreibt, recherchiert und erfindet: Als eine der wichtigsten französischen Künstlerinnen der Gegenwart setzt sich Sophie Calle mit Realität(en) und Fiktion, mit den Grenzen zwischen An- und Abwesenheit, mit den Bedingungen der Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinander. Geboren 1953 in Paris, lebt und arbeitet die Künstlerin in Malakoff bei Paris. Calles Werke werden in renommierten Museen sowie Galerien als Einzel- und Gruppenausstellung sowohl in Frankreich als auch international gezeigt und sind in vielen Sammlungen namhafter Museen vertreten. In einer zweiteiligen Ausstellung präsentieren das Kunstmuseum Thun und das Fotomuseum Winterthur gemeinsam Sophie Calles umfangreiches Schaffen zum ersten Mal in der Schweiz, jeweils mit einem anderen Schwerpunkt.
Wie viel Auge und wie viel Blick braucht es für einen Augenblick?
Die Ausstellung in Thun setzt sich aus acht grossen Werkgruppen zusammen. “Regard incertain” nimmt als Ausstellungstitel Sophie Calles Intention auf, zu hinterfragen, wie einzigartig ein Augenblick ist, wie individuell ein Blick, wie selbstverständlich eine Wirklichkeit. Fotografie und Film sind dabei ebenso wichtig wie der Text. In minuziös dokumentierter Spurensuche reflektiert Sophie Calle die Bedingungen der künstlerischen Selbsterkenntnis und Selbstdarstellung und trifft damit den Nerv unserer Zeit. So auch in den Werken der Ausstellung “Sophie Calle – Regard incertain”, welche einen Einblick in verschiedene Aspekte des Oeuvres der französischen Künstlerin erlauben. Bekannte Werke der letzten zehn Jahre, darunter die Videoarbeit “Voir la mer” (2011), sind ebenso zu entdecken wie frühe, wegweisende Werke, z.B. “Suite vénitienne”, mit dem Calle 1980 international den Durchbruch schaffte.
Voir la mer – Der erste Augenblick am Meer
In ihrer Videoarbeit “Voir la mer” (2011) vermittelt Calle den Moment, wenn Menschen zum ersten Mal das Meer sehen. Sie hat dafür Einwohner Istanbuls gewählt, einer vom Meer umgebenen Stadt. Aus welchen Gründen auch immer diese Menschen nie die Möglichkeit hatten das Meer zu sehen – Sophie Calle lädt sie dazu ein. Mit verbunden Augen wurden die unterschiedlichen Personen, Frauen und Männer, Jung und Alt, zum Strand geführt und gefilmt wie sie das Meer erstmals erblicken. Was geht in diesen Menschen vor? Wir können es nur erahnen, vielleicht anhand der Erinnerung an unsere erste Begegnung mit dem Meer, mit der Ahnung, dass dieser stille Moment einer ist, der das Weltbild verändern mag.
Und wie lange kann ich mich an einen Augenblick erinnern?
In den drei Werkgruppen “Que voyez-vous?” (2013), “Les tableaux dérobés” (1994-2013) und “Last seen” (1991), die sich alle drei auf einen der weltweit spektakulärsten Kunstraube beziehen (1990, Isabella Stewart Gardner Museum, Boston), befragt Calle u.a. Kuratoren und Aufsichtspersonal nach deren Erinnerung an die gestohlenen Bilder. Wie gehen sie mit dieser Leerstelle um, die der Raub hinterlassen hat? Hierbei, wie auch in den anderen Werkgruppen, spielt das Verhältnis von Text und Bild eine sehr wichtige Rolle. Texte zu den Bildern sind bei Calle daher nie als Ergänzung zu betrachten, sondern als fester Bestandteil des Kunstwerks.
Das Werk “La dernière image” (2010) ist ebenso bezeichnend für Sophie Calles Befragung der Erinnerung, des Abwesenden, das durch Text und Bild evoziert wird, aber auch für ihre Reflexion der Natur von Fotografie. Dazu fragt sie ehemals Sehende, durch ein bestimmtes Ereignis plötzlich erblindete Menschen nach dem, was sie zuletzt gesehen haben. Es entsteht eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Portrait der Person, der Beschreibung der Erinnerung an das letzte Bild und einer Fotografie, die Letztere darzustellen scheint. Aber ist dieses fotografische Bild das, welches diese Person tatsächlich erinnert? Und wie nehmen wir als Betrachter dieses wahr, im Zusammenhang mit dem Text?
Mit “Suite vénitienne” (1980) schliesslich zeigt das Kunstmuseum Thun eines der frühen Schlüsselwerke Calles. Es handelt sich um die heimliche Beschattung eines ihr nur wenig bekannten Mannes, Henri B. in Venedig, dokumentiert mithilfe zahlreicher Fotos und begleitet von tagebuchähnlichen Texten, die nicht nur die Methoden ihrer Beschattung, sondern auch ihre eigenen Gefühle dabei beschreiben. Es zeigt sich darin die, mittlerweile für Calles Schaffen so bezeichnende, Verschmelzung von investigativen Methoden, fiktionalen Konstrukten und Abbildungen des realen Lebens sowie der Konstruktion des eigenen Ichs.
Öffnungszeiten Di-So 10 – 17 Uhr, Mi 10 – 19 Uhr
Location:
Kunstmuseum Thun
Thunerhof / Hofstettenstrasse 14
3602 Thun
Switzerland