Exhibition
in Zürich / Switzerland
“Seeing is no longer believing. The very notion of the truth has been put into crises. In a world bloated with images, we are finally learning that photographs do indeed lie”. Barbara Kruger, 2019
Einen Pinguin im eigenen Garten vorzufinden ist in europäischen Breitengraden eher eine Seltenheit. Was wäre aber, wenn dies zukünftig zur Normalität werden würde? Dann nämlich, wenn die Antarktis als natürlicher Lebensraum dieser Spezies unwirtlich wird, der Klimawandel sie zum Weiterziehen zwingt und der Garten ein Stopp ist auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Aber Moment mal, der Pinguin ist zwar ein Vogel, aber er kann nicht fliegen. Noch nicht – müsste man vielleicht sagen. Wer weiss, wie sich Pinguine in Zukunft anpassen müssen? Die skulpturale Installation “Was macht der Pinguin in meinem Garten?” (2024) ist ein dystopisches Szenario. So fiktiv die Vorstellung sein mag, sie verdeutlicht die nicht zu leugnenden ökologischen Veränderungen und die damit einhergehende Verantwortung des Menschen für seinen Lebensraum.
Stefan Daniels Kunst weckt Interesse, lässt einen erschrecken, ertappt fühlen, schmunzeln oder misstrauisch werden. Emotionen hervorzurufen begünstigt für den Künstler eine Bereitschaft, sich auf komplexe Thematiken einzulassen. Die Ausstellung “Was macht der Pinguin in meinem Garten?” spannt den Bogen von frühen Arbeiten bis zu seinen neuesten Werken und fordert auf, die verworrenen Abhängigkeiten im Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen, zu reflektieren – ohne die Zuversicht zu verlieren.
Zehn Jahre ist es her, dass Stefan Daniel mit seiner Fotoserie “Hidden Landscapes” (2015-2017) auf sich aufmerksam machte. Als Rettungsdecke oder Leichentuch decken Geotextiltücher den Rhonegletscher ab und zeugen vom verzweifelten Versuch, das Eis vor dem Schmelzen zu bewahren. Die bedrückenden und zugleich ästhetischen Fotografien konfrontieren mit den Auswirkungen der Klimaerwärmung.
Während “Hidden Landscape” eine reale Landschaft zeigt, spielt der Künstler im Werkkomplex “Schöne neue Welt” mit der Überzeugung Reales zu sehen. Es sind vermeintliche Gebirgslandschaften, die die Camera Obscura Fotografien “Lightscapes” (2022) sowie Heliogravüre-Serien “Aussicht” (2023) und “Shifting Territories” (2021) darstellen. Die im Titel adressierte Verschiebung von Gebieten überträgt sich auf die Betrachtung. Was glaube ich zu sehen und was sehe ich wirklich? Dass diese zwei Komponenten nicht zwingend harmonisch einhergehen, betont die für ihre gesellschaftspolitischen Plakate bekannte amerikanische Konzeptkünstlerin Barbara Kruger und führt aus, dass wir in der heutigen bilderüberflutenden Welt endlich lernen, dass Fotografien tatsächlich lügen können. So entpuppen sich auch die vermeintlichen Polarlichter der “Lightscapes” (2022) als Illusion. Das betörende Farbenspektakel ist kein natürliches Phänomen, sondern ein menschengemachtes Firmament roten und blauen Lichts von Gewächshäusern. Diese Mischung mag optimal für das Wachstum von Tulpen sein, verursacht aber eine so enorme Lichtverschmutzung, dass sie auf Google Earth erkennbar ist. Aus dieser Quelle stammen die Bilddaten für die Werkserie. Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Schöne neue Welt entlarvt Sehgewohnheiten und regt an, Bilder infrage zu stellen.
Der verbildlichte Klimawandel ist in “Flux” (2019) durch die Veränderungen von sich sublimierenden Trockeneises als reines CO₂ in Pyramidenform zu beobachten. 32 Stunden und 64 fotografische Momentaufnahmen später bleibt davon nur ein schwarzes Quadrat zurück. Für Stefan Daniel eine Metapher für das Gefühl von Ohnmacht und Leere im klimatischen Wandel der Zeit. Aus diesem lähmenden Zustand sollen sich die Besuchenden lösen, indem sie einzelne Fotografien der Installation mitnehmen.
Gold ist ein wiederkehrendes Element im Œuvre von Stefan Daniel. Durch das Edelmetall kritisiert er die Ausbeutung der Erde zugunsten eines wirtschaftlichen Profits im stetig wachsen wollenden Kapitalismus. Ein Raster aus Plättchen verschiedener Blattgoldtöne symbolisiert in “Golden Cage” (2022-2023) die globalen Verflechtungen und eigenen Abhängigkeiten. Wie CO₂-Messungen der letzten 800’000 Jahre bestätigen, auf die sich Stefan Daniel in seinen forschungsbasierten Arbeiten bezieht, bedingt der steigende fossile Energieverbrauch eine drastische Erhöhung der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre. Diese Messzahlen prägen das Werk “What if the data do not lie?” (2024), wo ein goldenes Komma den Start des Kapitalismus mit der ersten industrielle Revolution 1785 markiert.
Klimatische Veränderungen und menschliche Einflüsse sind kein “Schnee von gestern” (2022), wie sich in Neonschrift liest, sondern werden die Welt von morgen massgeblich prägen. Dieser gilt es, durch reflektierte Entscheidungen Sorge zu tragen, damit nicht nur der Schnee kein Phänomen der Vergangenheit werden wird.
Seraina Peer, Kunsthistorikerin
Öffnungszeiten Do/Fr 14 – 18 Uhr, Sa 14 – 16 Uhr
Montag – Mittwoch nach telefonischer Verabredung
Ausstellungsdauer 04.10. – 19.10.2024
Location:
sam scherrer contemporary
Kleinstrasse 16
8008 Zürich
Switzerland