Exhibition

in Zürich / Switzerland
02.09.2022 - 12.11.2022 00:00
Werner Bommer – rythmes naturels

Werner Bommer, ursprünglich aus dem Thurgau stammend, ist in der Kunstszene ebenso als Künstler wie als Galerist bekannt. Sein Malatelier befindet sich im Untergeschoss der kulturgeschichtsträchtigen Liegenschaft, in der die Rüegg-Stiftung seit knapp einem Jahr ihre neuen Kunsträume betreibt. Für einmal ist Muskelkraft allein also das tragende Element des Kunsttransports für unsere Ausstellungen – und was unter den Gewölben des Untergeschosses entsteht, erscheint nun im Parterre im Licht der Öffentlichkeit.

Werner Bommers Kunst zeigt sich in diesem Heimspiel von der Natur inspiriert, entwickelt aber im Reich von Malerei und Zeichnung ein Eigenleben in aller Freiheit. Geleitet von der Intuition und in unmittelbarer Reaktion auf das Abenteuer Malerei, entstehen im Gross- wie im Kleinformat rhythmische Kompositionen in der Tradition des amerikanischen abstrakten Expressionismus. In ihrer Entschlossenheit ist diese Kunst verwandt mit Albert Rüeggs Malerei, in ihrer Feinsinnigkeit mit Melanie Rüegg-Leutholds Plastiken. Wir sind selber gespannt darauf, was sich aus dieser Kombination ergibt.

Abstrakte Malerei aus dem Nichts heraus anzulegen, ist nicht einfach – das wissen alle, die sich mal darin versucht haben. Auf dieses Thema angesprochen, kontert Werner Bommer schmunzelnd: “Die Angst des Tormanns beim Elfmeter”, Peter Handke und Wim Wenders zitierend. Und weiss zugleich um den Ernst der Sache. Damit das Weiss der Leinwand anfangs nicht ganz so weiss ist, appliziert er oft Ausschnitte aus Fotografien auf die leere Leinwand. Oder Fetzen von “alten Bildern”. Damit schon was da ist, zu Beginn, auf das man sich beziehen kann. Denn Malerei – Kunst? – ist ja immer auch Reaktion. Reaktion auf etwas, das schon da ist. Sei das Gegenstand oder Gefühl. Kunst entsteht im Dialog mit sich selbst, als Frage-und-Antwort-Spiel. Als ernstes, aber durchaus auch spielerisches Spiel.

Wenn also schon was da ist, erleichtert das den Einstieg in dieses ernste Spiel. Das Spiel kann schliesslich soweit führen, dass Bommer selbst, vor dem fertigen Bild, nicht mehr zwischen Fotografie und Malerei unterscheiden kann: “Ich weiss es auch nicht.” “Bommer” stammt vom Baum ab, erklärt uns Werner Bommer in seinem Atelier, diesem wunderbaren Gewölbe im Untergeschoss des legendären Hauses, das zuvor ein Musikhaus war und nun mehr und mehr zu einem Kunsthaus wird. Bommer stammt vom Baum ab – denn so wird der Baum in Bommers thurgauischer Heimat, am Fuss des Toggenburgs, ausgesprochen. Er ist vom Landmensch zum Stadtmensch geworden, geht aber immer noch gern in die Natur hinaus, auf Streifzüge durch Wälder, und fotografiert dort Konstellationen von Geäst, verfolgt die Wunder des Baumwuchs, des Blätterwerks im Wind.

Was hat nun der Wuchs eines Astes mit Malerei zu tun? Was interessiert den Künstler daran? Zunächst mal wohl, dass der Ast überhaupt wächst. Dass eine innere Kraft ihn dazu antreibt. Dieses Wachstum ohne eigentlichen Grund. Die innere Batterie der Natur sozusagen. Und die Unbeirrbarkeit dieser Energie, ihre Unaufhaltsamkeit. Die in unserer Zeit natürlich mehr denn je gefährdet ist – durch uns selbst.

Dieser Blick auf die Natur hat nicht nur etwas Tröstliches in einer prekären Zeit, sondern er leitet auch Energie weiter. Der wachsende Ast: Warum wächst er gerade in diese Richtung? Mal schneller, mal weniger schnell? Warum verdickt er sich, um sich erneut zu verjüngen? Warum schlägt er gerade hier aus? Die Naturkunde wird Gründe dafür wissen. Wir Kunstsinnigen bevorzugen, nicht nach den Gründen zu fragen. Wir nehmen diese Wunder des Wachstums lieber als wunderbare Gegebenheiten, die sich vor uns ausbreiten.

Wenn wir vom Wachstum in der Natur sprechen, leitet sich davon ein philosophischer Begriff ab, der für Werner Bommers Kunst zentral ist. Es ist der Begriff der Freiheit. Die Natur leistet sich, zu wachsen wie sie will. Als ob sie nicht auch reagieren würde, auf die Richtung des Sonnenlichts zum Beispiel. Aber wie angesprochen bilden wir uns gern ein, dass sie eben nicht reagiert, sondern einzig agiert. Ganz nach aussen gerichtet, prosperierend – um ein Wort zu gebrauchen, das die Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen hat. Dieses nach aussen Gerichtete, diese Freiheit ist es, die Werner Bommer in seiner Malerei sucht und findet. Sie vermittelt, wie wohl er sich dabei fühlt. Wie gut sie ihm tut. Und dieses Gefühl der Freiheit vermittelt sich auch uns als Betrachtende dieser Kunst.

Vom Baum abstammend, findet sich diese Kunst schliesslich in der Freiheit wieder. Es ist ein Privileg der Kunst, sich darin, in Freiheit, zu üben. Und so wäre es falsch, darin einzig Kunst zu sehen, die sich allein mit Kunst beschäftigt. Freiheit ist bekanntlich auch ein politischer Begriff. Und so ist diese Kunst durchaus auch ein politisches Statement.

Lassen Sie uns noch etwas näher darauf eingehen, wie sie entsteht. Bommer ist ein Maler. Aber eigentlich ist er mindestens ebenso sehr ein Zeichner. Denn ob es sich hier um kleine Malereien oder um grosse Zeichnungen handelt, wäre zu debattieren. Sieht man nur Abbildungen von dieser Kunst, ist schwer einzuschätzen, wie gross die Formate sein könnten. Das hat auch mit dem Tempo zu tun – einem oft übersehenen Kriterium in der Malerei. Bommer agiert so schnell auf seinen grossen Bildern, dass man vor Abbildungen meinen könnte, es seien kleine Bilder: Weil man ein solches Tempo auf einem grossen Bild kaum für möglich hält.

Nun geht der Mann auf die 75 zu – und trägt seine Bilder die Treppe hoch und runter, als wäre es nichts. Diese Dynamik ist auch ein wesentliches Merkmal seiner Kunst. Sie gibt der Intuition viel Raum. Wobei Intuition (hier – oder nicht nur hier?) weniger das Ungedachte als das Vorgedachte meint: das Wissen, die Überlegungen, die uns nicht bewusst, die aber durchaus da sind. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass das eine ganze Menge ist: Sie spricht von 99 Prozent. Das würde heissen, dass wir weit mehr wissen, als uns eigentlich bewusst ist. Und dass Werner Bommers Malerei somit nicht im eigentlich Sinn intuitiv, “unwissend”, unverkopft ist, sondern dass sie aus einem tieferen Fundus gräbt, der dem Künstler nicht bewusst ist. Auch das – das zeigen die Bilder – scheint ihm gut zu tun, scheint ihn zu befreien und zu erleichtern: dieses spielerische Schürfen im Unbewussten. Sich zu öffnen für die Richtungen, die Kräfte, die ihm die Malerei, in Reaktion auf das bereits Daseiende, vorgibt. Ihr und ihnen möglichst widerstandslos zu folgen.

Die Mittel, die dem Künstler dabei zur Verfügung stehen, sind neben der Fotografie Farben und Flächen, sind das, was sich Duktus nennt, also der Farbauftrag, die körperliche Dicke und Dichte der Farbe oder ihre leichte Lasierung, sind Linien mit Ölkreiden, die sich zwischen die Malerei einnisten, sind Überlagerungen und Schichtungen in der Tiefe des Bildes. Es ist somit eine Malerei, die sich in alle Dimensionen entwickelt, in ihrer Dynamik durchaus auch über die Bildränder hinaus.

Einnehmend ist Bommers Hingabe an diese Abenteuer der Malerei und der Zeichnung. Seine Offenheit für vermeintlich falsche Farben und Richtungen, die dann wieder – mit einer zweiten falschen Farbe, falschen Richtung? – in eine spannungsvolle, ausgewogene Balance finden. Es sind – trotz aller Intuition – durchaus organisierte Bilder, die Bommer schafft. Und es sind sein malerisches Wissen, seine zeichnerische Erfahrung, die uns diese Kunst ebenso harmonisch wie spannungsgeladen erscheinen lässt. Souverän wäre das falsche Wort – denn es enthält Überlegenheit. Im Gegenteil ist es ihre Offenheit, die uns dazu einlädt, quasi an dem Prozess dieser Kunst und ihrer Entstehung teilzuhaben. Ihre Natürlichkeit, ihre Rhythmik. Ihre Verbindung zwischen Mensch und Natur.

Simon Maurer, Stiftungsrat

Öffnungszeiten Mi-Fr 12 – 18:30 Uhr, Sa 11 – 17 Uhr

Ausstellungsdauer 02.09. – 12.11.2022

www.kunstsammlung-ruegg.ch

Location:
Stiftung Kunstsammlung Albert und Melanie Rüegg
Rämistrasse 30
8001 Zürich
Switzerland

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