Exhibition

in Zürich / Switzerland
12.05.2023 - 15.07.2023 00:00
Michelle Maddox - Thinking through Things

Michelle Maddox arrangiert und malt vorwiegend Stillleben. Sie denkt, mit dem Ausstellungstitel, durch Gegenstände. So ruhig und austemperiert, wie die Gegenstände aus dem Alltag ins Bild gesetzt sind, so sehr beginnen sie sich miteinander auszutauschen – fast ein wenig wie Akteure auf einer pantomimischen Theaterbühne. Sie sprechen eine eigene Sprache, in der Frage und Antwort eng miteinander verwoben sind. Und werfen – ein Schattentheater? – Schatten, die manchmal viel grösser, mächtiger sind als sie selbst. Die Beziehungen zwischen den Gegenständen und ihren Schatten und zwischen den Gegenständen an sich sind durchaus spannungsgeladen. Sie enthalten Anspielungen, liebevolle, spielerische Äusserungen über Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen Dingen – und Menschen, den Besitzer:innen der Dinge.

Verbindungen gibt es auch zwischen den Arbeiten von Michelle Maddox, die in Cambridge geboren wurde und in einer Zürcher Seegemeinde lebt, und den beiden Stiftungsgründer:innen. Bei Albert Rüegg allein schon darum, weil er zahlreiche Stillleben und Interieurs gemalt hat. Aber auch deshalb, weil die Gegenstände in seinen Stillleben oft auch ein Dasein sozusagen zwischen Prekariat und Würde feiern. Bei Melanie Rüegg-Leuthold ist es eher die Behutsamkeit, mit der sie sich ihren Motiven nähert, und ihr zurückhaltender Respekt davor, der die beiden Künstlerinnen verbindet.

Wenn Michelle Maddox aus ihrem Set an Gegenständen schöpft, die sie aus der häuslichen Alltagswelt sammelt oder auch ganz gezielt auf Flohmärkten sich aneignet, dann geht es durchaus auch um Spannungsverhältnisse. Maddox sucht in diesen Spannungsverhältnissen den Austausch zwischen dem Unterschiedlichen, sie sucht das Vermittelnde. Im Extremfall reduziert sie die Zahl ihrer Gegenstände auf zwei, auf ein Paar, ein ungleiches Paar, auf einen Dialog: zwei Badetücher zum Beispiel, beide quergestreift, das eine blau auf weissem Grund, das andere weiss auf blauem Grund, das eine mit dicken, gepaarten Streifen, das andere mit feinen Linien in alternierendem Rhythmus, das eine mit den Fransen nach aussen, das andere mit den Fransen nach unten, das eine wohl aus Frottée, das andere aus Baumwolle. Die beiden Badetücher hängen einträchtig nebeneinander an einem Wäscheständer, brauchen fast gleich viel Platz, wobei das eine spielerisch leicht über das andere ausgreift.

Man kommt nicht umhin, sich die Besitzer:innen dieser beiden Badetücher vorzustellen, ihre Beziehung. Die Faltenwürfe (ein klassisches, vor allem im Barock zur Meisterschaft getriebenes Malereithema) unterscheiden sich ebenfalls stark: Das blaugrundige Tuch entfaltet sich lebhaft, fast tänzerisch, während das Weissgrundige ruhig und entspannt da hängt. Die Ambivalenz von Spannung und Ruhe, von Differenz und Harmonie ist wohl ein bedeutender Schlüssel in Michelle Maddox’ Bildwelt. Sie mündet letztlich in eine gelebte, sanfte Versöhnlichkeit, die weit mehr ist als ein Kompromiss, denn Versöhnung, Ruhe und Harmonie ergeben sich erst aus der Auseinandersetzung mit Konflikten.

“The painting as an object is more important than the initial subject, although the ordinary object has always fascinated me – how a simple object can offer so much to the artist to play with if you are really looking at it”. Letztlich geht es also um das Bild. Um die “Aktivierung” der Gegenstände im Bild. Darum, diese Gegenstände als räumliche Körper in einer flächigen Darstellung zu verstehen: als Gegen-Stände, als selbstständige, selbstbewusste Akteure, die uns gegenüber stehen, die “da” sind, die verhindern, dass wir das sehen, was hinter ihnen sichtbar wäre. Um die Art und Weise, wie aus Gegenständen Bedeutung wird, wie Gegenstände Bedeutung schaffen. Es geht darum, diese (gemalten) Gegenstände als Kunst-Körper ernst zu nehmen, ihnen Anerkennung zu schenken in ihrer geschaffenen Existenz, in ihrer taktilen, sinnlichen Erscheinung.

Jedes Bild ist ein stilles und doch belebtes Schauspiel, erst inszeniert, “gestellt” von der Künstlerin, in Licht und Raum und Farbe gesetzt – bis ein komplexer Zusammenklang entsteht, der Ästhetik und Bedeutung, Sinnlichkeit und Assoziation, körperliches Empfinden und Gedankenwelt untrennbar miteinander verbindet. Ähnlich wie bei einem ihrer grossen Vorbilder, Giorgio Morandi, sind Maddox’ Gegenstände auch oft aufgereiht, auf einer kulissenhaften “Bühne”, die zum Beispiel durch ein Tischtuch definiert wird. In diesen – fast hätte ich gesagt “Familienaufstellungen” – arbeitet Maddox auch mit überspringenden Farbbeziehungen. Gefässe, Tücher, abgebrochene Pflanzen – und manchmal auch ein Messer, das in der Geschichte des Stilllebens eine lange Tradition hat. Auch wenn seine überstehende Klinge einen langen Schatten wirft, hat das Messer niemals die Aggressivität und das Gewaltpotenzial wie bei einem Félix Vallotton. Eher scheint es Maddox darum zu gehen, in der “Familienaufstellung” ihrer Gegenstände Konstellationen zu erproben, auszutarieren, zu verarbeiten. Dass diese Konstellationen – auch wenn sie keineswegs frei sind von Komplexität, von Differenzen und Dissonanzen – letztlich in sanfte, pudrige Harmonien, in samtene Ruhe führen, ist wohl das Wesentliche dieser Kunst. Kunst als Spielfeld, um Möglichkeiten in der Realität auszuprobieren, durchzuspielen. Und Kunst letztlich auch als autonomes, unabhängiges, freies Feld, das der Phantasie und der Kreativität des Denkens und Fühlens Raum gibt: “Thinking through Things” heisst dann auch “Thinking trough Paintings”.

Diese Ruhe und spannungsvolle Ausgewogenheit, die Michelle Maddox’ Stillleben eigen sind, hätte Albert Rüegg wohl nur zu gern erlebt. Seine – für sein Werk durchaus bedeutenden – Stillleben erzählen aber oft andere, fast schon gegensätzliche Geschichten. Vielleicht müsste man sogar sagen, dass Stillleben Albert Rüegg zur Ruhe gezwungen haben? Dass sie so etwas wie Exerzitien für ihn waren – um seinem wandernden, springenden Geist eine kurze Auszeit zu gewähren? Allerdings kann (und will?) er seine Unruhe in den Still-Leben auch gar nicht verbergen. Er kann nicht aus sich heraus. Es ist eine interessante Frage, ob er denn aus sich herausgewollt hätte? Ich denke durchaus, ja – ich denke, dass er gelitten hat unter sich selbst, seiner Ruhelosigkeit. Aber so kann Malerei auch ein Ort sein, um den Eigenheiten der malenden Persönlichkeit einen Platz zu geben, um diese Eigenheiten “auszulagern” und von aussen zu sehen, als Möglichkeit der Selbstreflexion.

Wie einleitend bemerkt ist die Beziehung zwischen Michelle Maddox’ Malerei und den Plastiken von Melanie Rüegg-Leuthold eine ganz andere. Sie beruht auf der verwandten Art und Weise, wie die beiden mit ihren Motiven umgehen, sich ihnen annähern, wie sie in ihrer Arbeit mit ihnen kommunizieren (ja – nicht nur “durch Gegenstände denken”, sondern mit Gegenständen kommunizieren). Bei Melanie Rüegg-Leuthold sind das ja allerdings oft “belebte Gegenstände”: Menschen, Tiere. Gleichwohl ist die behutsame Art, mit der sie in ihrer Kunst ein – erneut: eigenständiges – Ebenbild zu ihrem Gegenüber formt, eine ähnliche wie bei Maddox. Dieses behutsam Suchende, sanft Tastende sind sich verwandt. Man ist versucht, darin etwas spezifisch Weibliches zu sehen: in diesem Suchen nach etwas Verbindendem. Aber das können wir ja mal offenlassen.

Simon Maurer, Stiftungsrat

Öffnungszeiten Mi-Fr 12 – 18:30 Uhr, Sa 11 – 17 Uhr

Ausstellungsdauer 12.05. – 15.07.2023

www.kunstsammlung-ruegg.ch

Location:
Stiftung Kunstsammlung Albert und Melanie Rüegg
Rämistrasse 30
8001 Zürich
Switzerland

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