Exhibition

in Zürich / Switzerland
24.11.2023 - 10.02.2024 00:00
Rosina Kuhn - Landschaften und Figuren

In ihrem malerischen Werk gelingt es Rosina Kuhn, der hellwachen “Grand Old Lady” der Zürcher Malerei, besondere Momente festzuhalten. Momente, in denen die Zeit stillsteht und die doch voller Leben sind. Atmosphären, Stimmungen: die selbstvergessene Erscheinung eines Kindes, das Dämmerlicht einer Landschaft. Momente, die klar machen, was das Wesentliche an unserem Leben ist: die liebevolle Verbundenheit mit Menschen, mit der Natur. Das Erkennen dieser flüchtigen Momente ist das eine. Sie wiedergeben und “haltbar” zu machen etwas anderes: etwas Besonderes, Wertvolles, Kostbares. Auf eine ganz andere Art finden sich solche Momente auch oft im Werk der Stiftungsgründer Albert und Melanie Rüegg-Leuthold. Von Rosina Kuhn zeigen wir neu entstandene Ölbilder und Monotypien, Landschaften und Figuren.

Besondere Momente, in denen die Zeit stillsteht: Zwei Beispiele möchten wir uns näher anschauen. Ein Landschaftsbild und das Porträt auf der Einladungskarte. Die “Landschaft” ist eigentlich eine Stadtlandschaft, festgehalten auf einem extremen Querformat. Eingebettet zwischen zwei Hügelzügen liegt eine Stadt, ein nächtliches Lichtermeer. Wer Rosina Kuhn kennt, wird das für einen Ausläufer von Los Angeles halten, das sie aus familiären Gründen jährlich besucht. Aber es ist nicht Los Angeles. Sondern Chiasso, die Schweizer Grenzstadt nach Italien, die man in aller Regel nur passiert, ohne dort wirklich Halt zu machen. Chiasso ist ein bisschen berüchtigt, wie das Grenzstädte so sind. Schmuggel, illegale Ausreisen, Geldwäscherei, Mafia, Bordelle. Daran möchte man nicht denken, wenn man auf Rosina Kuhns Bild schaut. Denn hier liegt die Stadt ganz ruhig da, und ihre Lichter strahlen friedlich in die Nacht. Die Nacht, die nicht wirklich eine Dämmerung ist, denn was den Himmel so eigenartig orange färbt, ist die nächtliche Abstrahlung von weit entfernteren Lichtern als den chiassesischen, nämlich von Como oder sogar von Milano. Was auch Lichtverschmutzung ist, empfinden wir hier als magische Wärme. Das liegt vor allem daran, dass wir dieses Lichtermeer und den orangen Abglanz am Himmel aus sicherer Distanz sehen: Wir befinden uns erhöht auf einer vorgelagerten Moräne. Wir sind in einem dieser privilegierten Orte, dem die Stadt zu Füssen liegt, nah genug, um ihre Vorzüge zu geniessen, und fern genug, um von ihren Nachteilen verschont zu bleiben.

Aber Rosina Kuhn hat dieses Bild ganz bestimmt nicht zu Studienzwecken von sozialen Milieus gemalt. Man muss auch nicht zwingend viel Geld haben, um sich in diesen Hügeln niederzulassen. Was aber solche geografischen Positionen ausmacht, ist ein ganz bestimmtes Gefühl von Geborgenheit. Geschützt durch die Nacht und durch die spärlichen Lichter der Nachbarhäuser, die wie chinesische Lampions geheimnisvolle Zeichen in die Nacht senden. So ganz sicher, “safe”, mag es in diesen Hügelzügen heute auch nicht mehr sein. Aber man zehrt immer noch von der Sicherheit von früher, die sozusagen absolut war. Vielleicht von einer Sicherheit, wie man sie als Kind empfindet. Für Kinder ist die Welt noch gross, sie lassen sich verzaubern von diesen nächtlichen Lichtern, die verheissungsvoll in die Nacht leuchten. Wir Erwachsene kommen manchmal, selten genug, auch noch in den Genuss solch “erleuchtender” Momente. Momente der Sicherheit, der Geborgenheit, der Schönheit, der Ruhe. Wenn alles still und ruhig und warm ist, wenn man aus sicherer Entfernung, aus einem wohligen Ambiente auf eine solche Szenerie schauen kann. Die Aktivität des Tages hängt noch in der Luft und wird besänftigt von der Ruhe, die sich über die Nacht senkt. Es ist, als ob die Wärme der kleinen Metropole über ihre Lichter noch abstrahlen würde. Alles ist im Gleichgewicht. Wir selbst sind es auch. Es ist ein schwebendes, zeitloses Gefühl. Ein Gefühl des Glücks. Ein Gefühl, das leider nicht anhält, nicht ewig ist.

Deshalb ist es wichtig – und wohltuend –, dass es Künstler:innen gibt: Maler:innen, die das Glück festhalten, ja die es schaffen können. Exemplarisch – damit wir uns an ihm festhalten können. Damit es da ist für uns. Für immer – erhalten: dieses kindliche, ungetrübte Glück. Was für ein Glück, sich ein solches Glück auch im Alter bewahren zu können. Die Fähigkeit, es zu empfinden, die Möglichkeit, es zu geniessen, die Gabe, es schaffen und weiterverschenken zu können. Auch das ist der Kunst eigen: Sie ist ein soziales Medium, mitteilsam, sie überträgt Gefühle. Dieses geteilte Glück von Rosina Kuhn strahlt nun auf uns über. Erfüllt uns mit warmem Licht. Zufrieden mit den Taten des Tages erwarten wir die Nacht – und in diesem Moment, diesem besonderen, sind wir einfach nur da, und staunen auf dieses Schauspiel, das sich uns zeigt, zwischen Natur und Zivilisation, zwischen der Erde, auf der wir stehen, und dem Himmelsgewölbe. Zufrieden mit dem Moment, mit dem Da-sein, mit dem, was sich uns darbietet und zeigt.

Tito ist selbst noch ein Kind. Er hat diese Fähigkeit zu staunen noch nicht verlernt. Diese Hingabe. Er gibt sich einem Zwergpapageien hin – ja, sagen wir einem Zwergpapageien. Für einen Kanarienvogel ist er zu gross, für einen veritablen Papageien zu klein. Also ein Zwergpapagei. Im Zwergpapageien sehen wir auch noch ein Kind. Auch er hat das Staunen, die Hingabe noch nicht verlernt. Hochkonzentriert und fokussiert schaut er auf ein rotes Kügelchen – eine Beere, eine Perle? –, die Tito in seiner Hand ihm vorhält. Die rote Perle verbindet Tito mit dem Zwergpapageien. Eigentlich ist es ein Spiel, das die beiden da spielen. Es gibt eine Übereinkunft über das Spiel zwischen ihnen. Tito hält dem Zwergpapageien das rote Kügelchen hin und lockt ihn damit. Es ist nun an dem Zwergpapageien, die Disziplin aufzubringen, nicht gleich zuzupicken, sondern zuzuwarten, bis Tito etwas macht mit dem Kügelchen. Das Spiel lebt von der Überraschung. Der Vogel weiss nicht, was der Mensch vorhat. Und der Mensch weiss nicht, was der Vogel vorhat. Die beiden versuchen einander zu überraschen. Wie in vielen Spielen ist das Überraschungsmoment der Kulminationspunkt, der sich entlädt in beidseitigem Spass über die Unvorhersehbarkeit des Anderen. Das Spiel zwischen Mensch und Tier ist natürlich ein besonders faszinierendes. Weil sich darin zeigt, dass auch Tiere über Humor verfügen. Dass sie bewusst warten können, um dann genau in dem Moment zu reagieren, in dem der andere es nicht erwartet. Das Tier lacht dann bestimmt auch. Deshalb will es immer weiter machen mit dem Spiel, deshalb macht es ihm so Spass.

Wie ein Mime steht Tito da, hochkonzentriert auch er. Seine Augen sehen wir kaum, sie sind fixiert auf das rote Kügelchen vor ihm. Titos Haltung ist gerade, wie die eines Tänzers. Auf der einen Hand balanciert der Papagei, mit der anderen hält er das Kügelchen. Das Ganze vollzieht sich in absoluter Stille. Und ist doch voller Spannung. Es gibt in diesem Moment nur diese eine Szene auf der Welt. Alles andere ist nicht wesentlich. Die Künstlerin setzt ihren Protagonisten in einen weiten Raum – in ein abstraktes Bild sozusagen, das die Aura der Spielfiguren weiterträgt. Im Türflügel spiegelt sich Titos Figur, kaum sichtbar. Und plötzlich entdecken wir, wie manchmal in der raffinierten altmeisterlichen Malerei, hier noch eine zweite Figur, die nur im Spiegelbild erscheint: Titos Schwesterchen, das keck empor kuckt, was der grosse Bruder da macht mit dem Papagei.

Frappierend ist der Ernst der beiden Hauptfiguren, von Tito und dem Papageien. Sie gehen komplett auf in diesem einen Moment des Spiels. Diese Momente der Selbstvergessenheit als Kostbarkeiten des Lebens: Das ist es wohl, worauf uns die Künstlerin hier aufmerksam machen will. Sie bettet die beiden Spielenden in farblich fein aufeinander abgestimmte Harmonie. Titos Pullover ist schöner als ein Kleid von Missoni, das Gefieder des Papageien wie nur ein Kunstpapagei es haben kann. Was sich hier zeigt, ist die Kunst, am Leben teilzunehmen. Wirklich daran teilzunehmen, in vollster Aufmerksamkeit, nicht nur zum Schein. Was uns die Künstlerin freilich auch zeigt, ist, dass es uns nicht – oder sagen wir kaum? – gegeben ist, solche Momente des Glücks bewusst zu erleben. Sie, als Künstlerin, beobachtet das Glück der anderen. Sie, offensichtlich glückserfahren, erkennt das Glück der Kinder. Nimmt daran teil und wird selbst beglückt durch die Teilhabe am Glück der anderen. Und lässt uns daran teilhaben.

“Besondere Momente” finden sich wie angesprochen auch im künstlerischen Schaffen von Melanie und Albert Rüegg-Leuthold. In Melanie Rüegg-Leutholds Kleinplastiken zum Beispiel in Studien einer Tänzerin und in Bewegungsstudien, die bezeichnenderweise alle angehaltene Bewegungen zeigen. Es geht hier nicht um Dynamik, sondern um fokussierte, konzentrierte “Stellungen”. Das Körperliche spiegelt dabei die Gedankenwelt: auch sie ist “angehalten”, hält inne. Das ist vielleicht mit ein Grund, weshalb Melanie Rüegg-Leutholds Bronze-Studien heute so wohltuend auf uns wirken: zum einen, weil sie diese Verbindung zwischen Körper und Geist wieder herstellen, und zum anderen, weil sie dem Informationsüberfluss, der digitalen Ablenkung und ständigen Versuchung etwas entgegensetzen, was gerade verloren zu gehen droht: dem Geist Ruhe und Raum zu geben, um sich zu erinnern und zu entwickeln, was Wesentlich ist im Leben.

Albert Rüegg war ja selber ein ruheloser Geist: unglaublich wissensdurstig zog es ihn an neue, ungesehene Orte. Blieben diese “äusseren Eindrücke” aus, drohte er in tiefe Melancholie und Depressionen zu verfallen. Wir haben für diese Ausstellung einige Reiseeindrücke des für damalige Zeiten äusserst weitgereisten Künstlerpaars zusammengestellt. Die Motive sind oft – aber nicht immer – spektakulär (manchmal auch durchaus touristisch). Albert Rüeggs Blick ist aber stets hoch subjektiv, vom Moment geprägt – und so geht es auch hier nicht nur um die Wiedergabe der Motive, sondern ebenso sehr um die atmosphärische Erscheinung, die zwischen dem Künstler und seinen Motiven entstand. Ort und Zeit verbinden sich zu etwas Unwiederholbarem. Wahrscheinlich sind das dann die Momente, die sich in der Erinnerung unauslöschlich einprägen: die besonderen, wertvollen, kostbaren Momente des Lebens.

Simon Maurer, Stiftungsrat

Öffnungszeiten Mi-Fr 12 – 18:30 Uhr, Sa 11 – 17 Uhr

Ausstellungsdauer 24.11.2023 – 10.02.2024

www.kunstsammlung-ruegg.ch

Location:
Stiftung Kunstsammlung Albert und Melanie Rüegg
Rämistrasse 30
8001 Zürich
Switzerland

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